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Samstag, 3. Dezember 2016

Wie Algerien die EU zerstören könnte


Sobald Präsident Bouteflika stirbt, werden die Islamisten versuchen an die Macht zu kommen und dann bekommt Europa eine noch viel größere Flüchtlingskrise. Von Stephen Pollard für www.Spectator.co.uk, 3. Dezember 2016

Es ist mehr als nur möglich, dass die EU noch vor der Besiegelung des Brexit - und nicht zu sprechen noch vor dem Abschluss des Austrittsprozesses - zusammengebrochen sein könnte. Und der Schlüsselfaktor dafür könnte im Tod des seit 17 Jahren regierenden algerischen Präsidenten liegen. Abdelaziz Bouteflika ist heute 78 Jahre alt und sitzt seit einem Schlaganfall von 2013 im Rollstuhl. "Sein Verstand ist schwächer als sein Körper," meint ein Beobachter zu mir. Bouteflika kam erst vor kurzem wieder nach Hause, nachdem er eine Woche lang in einer französischen Privatklinik verbrachte. Seine Prognose ist nicht gut.

Offiziell hat sich Bouteflika in Grenoble gewöhnlichen "periodischen medizinischen Untersuchungen" unterzogen. Aber niemand glaubt das. Unter jenen, die Algerien gut kennen gibt es wenig Zweifel, dass er ernsthaft erkrankt ist und nicht mehr lange hat. Das bedeutet, auch sein Regime hat nicht mehr lange Zeit. Die Konsequenzen daraus werden weit jenseits von Algerien zu spüren sein.

Wenn Bouteflika geht, dann wird Algerien womöglich implodieren. Islamisten, die er mit seiner eisernen Faust klein hält werden sich das Vakuum zunutze machen. Seit dem Ende des Bürgerkriegs unterdrückte Spannungen werden wieder hochkommen. Und dann könnte Europa von einer neuen großen Welle an Flüchtlingen aus Nordafrika überwältigt werden.

Doch außerhalb von Algerien ist sich fast niemand darüber im Klaren, was gerade passiert. Zumindest außerhalb der westlichen Geheimdienste. Vom falsch bezeichneten arabischen Frühling 2011 wurden sie zwar überrascht, aber sie alle sind sich sehr wohl im Klaren, was in Algerien auf dem Spiel steht. Hinter den Kulissen bereiten sich die Regierungen auf einen weiteren Bürgerkrieg vor - und dessen Konsequenzen.

Es war gerade einmal vor 24 Jahren, als im algerischen Bürgerkrieg zwischen den Islamisten und der Staatsmacht 150.000 Menschen starben. Dieses Mal wird es bei weitem mehr Blut geben, nicht zuletzt wegen der Entwicklung des bewaffneten Islamismus in den letzten Jahren.

Einige Beobachter haben die Misserfolge der islamistischen Parteien an den Wahlurnen fehlinterpretiert als Beweis für den Niedergang des Islamismus in Algerien. El-Islah, Ennahda und die Bewegung für Gesellschaft und Frieden haben miteinander gebrochen und sich aufgespalten. Bei den Wahlen von 2012 versuchten sie es gemeinsam als Grüne Algerische Allianz, aber schafften es gerade einmal, 48 der 462 Parlamentssitze zu gewinnen.

Das aber ist zutiefst irreführend. Die islamistischen Anführer haben ihre Taktik geändert. Vor langem schon begriffen sie, dass sie an der Wahlurne nicht gewinnen können, daher sind sie zu anderen Mitteln übergegangen. Als selbsterklärte Wächter der öffentlichen Moral haben sie sich dafür eingesetzt, dass sich der Lehrplan auf "islamische Wissenschaft" konzentriert und sie nutzten ihren kommunalen Einfluss, um die Regierung davon abzuhalten, das "Familienrecht" zu ändern, das die Frauen unter der "Bewachung" der Männer hält. Sie haben Fatwas herausgegeben, damit die Ministerien sicherstellen, dass Frauen Kopftücher tragen und Männer sich einen Bart stehen lassen und letztes Jahr versuchten sie - wenn auch erfolglos - ein Gesetz zu verhindern, das Gewalt gegen Frauen kriminalisiert.

In den letzten Jahren wurde das Kopftuch in Algerien zur Normalität, wobei es heute von etwa 70 Prozent der Frauen getragen wird (und von bis zu 90 Prozent außerhalb der Städte). In Algiers wird nun eine Milliarde Dollar für den Bau der größten Moschee Afrikas ausgegeben.

Und all das während der Staat sich erfolgreich dem formellen islamistischen Einfluss entzieht. Wenn Präsident Bouteflika weg ist, dann ist klar, dass die Islamisten - angetrieben von ihren Brüdern außerhalb Algeriens - versuchen werden, die Gunst der Stunde zu nutzen. Auch wenn man in der Presse kaum ein Wort über Algerien findet und die Zukunft, auf die das Land zusteuert, so haben die europäischen Regierungen schon vor Monaten damit begonnen, darüber zu sinnieren, was wie eine sich zusammenbrauende Krise aussieht.

Ein algerischer Bürgerkrieg würde eine riesige Anzahl Flüchtlinge erzeugen. Ein Analyst erzählte mir, dass er von 10 bis 15 Millionen Algeriern ausgeht, die versuchen werden, das Land zu verlassen. Angesichts von Algeriens Geschichte würden sie erwarten, von einem Land gerettet zu werden: Frankreich. Bedenkt man die Folgen für die EU in diesem Fall, dann würde schon ein kleiner Teil dieser Zahl die Auswirkungen des syrischen Bürgerkriegs in den Schatten stellen. Angesichts des politischen Traumas, das die Flüchtlingskrise bereits in Europa angerichtet hat, könnte ein massiver algerischer Exodus zu umfassenden Unsicherheiten führen.

Selbstverständlich weis niemand, wie lange Bouteflika noch hat. Auch wissen wir nicht, wie sich ein Bürgerkrieg entwickeln würde. Sollte die Krise aber vor den französischen Präsidentschaftswahlen im nächsten April beginnen und die algerischen Flüchtlinge auf französischem Boden ankommen - beides Szenarien, die alles andere als unmöglich sind - dann ist es schwer, sich etwas anderes vorzustellen, als dass der Sieg an Marine Le Pen und den Front National geht.

Es könnte auch einen weiteren islamistischen Terroranschlag in Frankreich geben, den die französischen Behörden bereits als extrem wahrscheinlich einstufen. Dies könnte mit einem plötzlichen Zustrom von algerischen Extremisten sogar noch wahrscheinlicher werden. Mit einem Le Pen Sieg würde der Brexit fast egal werden, da sie versprochen hat, ein Referendum über die französische EU Mitgliedschaft durchzuführen. Sollte Frankreich seinen Frexit machen und gehen, dann gäbe es effektiv keine EU mehr, aus der Großbritannien austreten könnte.

Natürlich beinhaltet dieses Szenario eine ganze Reihe von Bedingungen. Allerdings genügt es, dass eine oder zwei davon in Erfüllung zu gehen, und selbst wenn Bouteflika nicht vor den französischen Wahlen im April stirbt, dann wären die Konsequenzen kaum weniger dramatisch. Ein algerischer Bürgerkrieg und die sichere Flüchtlingskrise würden Frankreich bis ins Mark erschüttern. Egal ob mit Fillon oder Le Pen im Elysee, der französische Präsident (und seine EU Kollegen) würden es mit einer Krise zu tun bekommen, welche sich für die EU als der finale Todesstoss erweisen könnte.



Im Original: How Algeria could destroy the EU
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