Von Ross Douthat für www.NYTimes.com, 22. Oktober 2016
Wer sich für Hillary Clinton und gegen Donald Trump entscheidet, wählt nicht nur für eine Demokratin und gegen einem Republikaner, vielmehr - und das macht die Clinton Kampagne in vielerlei Hinsicht sehr deutlich - ist es eine Wahl für die Sicherheit und gegen das Risiko, eine Wahl für Kompetenz und gegen Rücksichtslosigkeit, für psychologische Stabilität im Weißen Haus und gegen nicht durchsetzbare Leidenschaft.
Für Hillary war dieses Motiv bislang sowohl in den Debatten als auch in ihrer allgemeinen Kampagne ein gewinnendes und zwar mit gutem Grund. Die Gefahren einer Trump Präsidentschaft sind so unverwechselbar wie der Kandidat selbst und eine Stimme für Trump ist auch eine Stimme für eine lange Liste an möglichen Schlimmstfällen - die Untiefen im westlichen Bündnissystem, eine Kaskade der Radikalisierung im Land, eine versehentliche wirtschaftliche Kernschmelze, zivil-militärische Krisenmomente - und das mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit, als es bei normalen Regierungen der Fall ist.
Tatsächlich wird dies von Trump und seinen Unterstützern sogar ein bisschen zugegeben. "Wir haben es mit Vernunft probiert, nun lasst es uns mit Verrücktem probieren," so das mehr oder weniger inoffizielle Kampagnenmotto. Das Versprechen eines wilden Stiers im Porzellanladen ist Teil seiner Züge ins Demagogische. Für einige seiner eloquenteren Unterstützer ist eine Stimme für Trump vergleichbar mit dem Bestürmen der Pilotenkanzel eines entführten Flugzeuges, wobei der Absturz des Flugzeuges bereits voll mit eingepreist ist.
Nur, ein Nein für den Kandidaten mit dem möglichen Flugzeugabsturz bedeutet nicht, dass man die Gefahren seiner Rivalen ignorieren sollte.
Die Risiken einer Präsidentschaft von Hillary Clinton sind bei weitem berechenbarer, als Trumps autoritäre Fragezeichen, da wir über die herrschende Politik bereits mit ihnen leben. Es handelt sich dabei um Gefahren, die sich aus dem Gruppendenken der Elite ergeben, dem Ergötzen am Umgehen institutioneller Regeln, diesem Kult präsidialer Exekutiventscheidungen im Namen dubioser Ideale. Es sind Gefahren voller Rücksichtslosigkeit und Radikalismen, die sich also solche nicht selbst erkennen, da allem die Überzeugung zugrunde liegt, dass wenn über eine Idee innerhalb der Großen und Guten im Lande Konsens herrscht und sie diese zur wünschenswerten Handlungsmaxime erklären, dann kann sie nicht falsch oder gar eine Verrücktheit sein.
Fast jede Krise, die in den letzten 15 Jahren über den Westen hereinbrach, entstammte jedoch genau in dieser Art elitärer Verrücktheit. Der Irakkrieg, an den sich die Linken gerne erinnern als einen von einer neokonservativen Kabale herbeigezauberten Konflikt, war tatsächlich das Produkt eines überparteilichen Konsens, der zwar von Präsident George W. Bush knallhart durchgedrückt wurde, der aber auch von einem Gutteil der mittelinken Vertreter mitgetragen wurde, wie etwa Tony Blair und über der Hälfte der Demokraten im Senat.
Nicht anders verhielt es sich bei der Finanzkrise: Ob man nun die Schuld auf die Deregulierung der Finanzdienstleistungen schiebt, oder auf die Vollgaspolitik bei Hausbaukrediten (oder auf beides), die Politikmassnahmen jedenfalls, aufgrund derer die Blase sich erst bildete und dann platzte wurden von beiden Flügeln des politischen Spektrums durchgesetzt. Genauso war es auch beim Euro, der europäischen Einheitswährung, die eine furchtbare und nur Probleme verursachende Idee war, und bei der es lange nur Kleinbritannien wagte zu widersprechen, bis die Großen Depression sie entblösste als eine potenziell alles vernichtende Verrücktheit. So war es auch mit Angels Merkels großer und rücksichtsloser Grenzöffnungsgeste im letzten Jahr: Sie war für tausende die Heldin und das selbst als sich herausstellte, dass sie ihren Kontinent der Polarisation und Gewalt aussetzte.
Diese Serie elitärer Verrücktheiten - für die selbst unser kleines Abenteuer in Libyen zu klein ist, um in die Liste aufgenommen zu werden - ist einer der Hauptgründe, weshalb die Vereinigten Staaten nun einen Präsidentschaftdkandidaten haben, der mit dem Motto "Verrückt ist auch eine Lösung" hausieren geht, und weshalb auch in Europa so viele Parteien im Windschatten dieses Trumpismus gedeihen.
Man kann in Trump durchaus Gefahren sehen und lauernde Katastrophen, zu viel Risiko im Temperament und moralische Verbogenheit, die allesamt aber trotzdem noch weniger schlimm sind als der völlig verpfuschte Status Quo... und man kann dabei gleichzeitig in Hillary Clinton eine Frau sehen, welche all das verkörpert, was dem Trumpismus erst die Grundlage zum Aufstieg gab.
Tatsächlich fällt bei Clinton auf, und das viel mehr als bei Bush oder Obama, dass es nur sehr wenige Beispiele gibt, bei denen sie im Hinblick auf die Staatsführung mit dem Elitenkonsens brach.
Sie war für den Irakkrieg, als alle dafür waren, gegen die Truppenaufstockung, als alle den Irak aufgegeben hatten, nur um dann wieder den ungezügelten linken Falken zu geben, als es ein paar Jahre danach um Libyen ging.
Sie war eine Taube gegenüber Russland, als die Medien Mitt Romney vorwarfen, ein Falke gegenüber Russland zu sein; und nun ist sie ein Russlandfalke, wie es auch jeder andere in Washington ist, auch wenn momentan womöglich eher eine Deeskalation gefragt sein könnte.
Sie führt Merkel als Vorbild an, sie umgibt sich mit einem überparteilichen außenpolitischen Kader, der gerne eine Eskalation in Syrien sähe und sie scheint auch - wie auch ihr Publikum bei Goldman Sachs - zu beabsichtigen, den Sturm des Nationalismus an sich vorbeiziehen zu lassen und darauf zu verzichten, die ein oder andere in ihrer Gesellschaftsschicht vorherrschende Grundüberzeugung zu überdenken.
Die gute Nachricht ist, sie ist keine Utopistin; vielmehr ist sie - oder wurde es während ihrer langen und aufreibenden Karriere - eine Pragmatikerin, eine selbstreflektierte Hardlinerin. Daher wird sie wohl kaum etwas machen, das die kosmopolitischen Metropolen Europas und Amerikas als radikal, gefährlich oder dumm erachten würden.
In solchen Fällen allerdings, in denen die kosmopolitische Meinung einmal nicht vernünfig oder sicher ist, diese Gelegenheiten sind jene, in denen die westliche Elite den Verstand verlieren kann ohne es zu merken und Hillary Clinton macht den Eindruck, als sei sie genauso fähig, in die nächste Verrücktheit hinein zu geraten, wie all ihre Kollegen auch.
Im Original: The Dangers of Hillary Clinton