Nach 70 Jahren mit sogenanntem Frieden muss man schon ein professionelles Opfer sein, um nicht auf sich selbst zu blicken bei der Ursachenforschung für den Hunger, die unnatürlichen Tode, die extreme Rückständigkeit, die Strapazen und das Elend in Indien.
Das intellektuelle Kapital, das der Westen in den letzten 2.500 Jahren angehäuft hat - und das in Echtzeit kostenlos im Internet zur Verfügung steht - kann inzwischen von jedem, der ambitioniert und wissbegierig ist heruntergeladen werden. Im Zeitalter moderner Technologie hat noch ein anderes kostenloses Geschenk des Westens das Spielfeld deutlich eingeebnet, da Gesellschaften, die mit dem Westen auf wirtschaftlicher Ebene gleichziehen wollten, wie etwa Japan, Südkorea, Singapur, Honkong, China etc. dies entweder bereits schnell erreichen konnten, oder sich gerade mit hoher Geschwindigkeit dorthin bewegen.
Angesichts dessen, dass Indiens Ministerpräsident Narendra Modi erst drei Jahre an der Macht ist, fällt es schwer, ihn im allgmeinen zum Schuldigen zu erklären für die oben erwähnten Beschwerlichkeiten, die das tägliche Leben in Indien begleiten. Selbst der beste Kopf in der Exekutive eines extrem heterogenen und komplexen Landes kann diese Titanic nur ein klein bisschen in die richtige Richtung schubsen.
Das Problem besteht darin, dass Modi die indische Titanic aktiv auf Kollisionskurs mit einem Eisberg brachte, und auch er selbst wird kaum ohne Schaden davon kommen. Ihm muss seine Naivität vorgeworfen werden, sein völlig invertiertes Verständnis von Ökonomie und die völlige Abwesenheit von Wissen über die Lebensrealitäten im Land, sein Narzissmus und seine Obsession, sich zum Helden zu stilisieren, und nicht zu vergessen auch der Mangel an Selbstrespekt, der ihn immer wieder in die Ecke des Hindufanatismus abdriften lässt. Er und seine Partei waren der Katalysator für die Flammen des Nationalismus und Fanatismus unter vielen Indern.
Bauern demonstrieren in Dehli gegen ihr Leid. 2015 haben über 12.600 Bauern und Knechte Suizid begangen. Durchschnittlich ist das Leben in Indien härter als in Afrika. |
Allerdings finden sich in jeder Gesellschaft Soziopathen. Ist man einen aber endlich los, da betritt schon der nächste die Bühne. Am Ende sind es die Inder selbst, denen die Schuld für das Einsetzen von Modi und seiner BJP in ihre Positionen gegeben werden muss. Letztlich sind es auch die Inder selbst, denen die Schuld obliegt, dass sie jene Institutionen aushöhlten und zerstörten, die ihnen die Briten vor über 70 Jahren hinterlassen haben.
In der irrationalen und tribalen Gesellschaft Indiens symbolisiert Modi perfekt den Denkprozess des durchschnittlichen Mannes und nutzt ihn in unbewusster Weise aus, da er Problemen gerne mit mehr von jenem begegnet, weswegen die Probleme überhaupt erst entstanden sind.
Eine rationale Person (insbesondere eine, deren Weltanschauung im allgemeinen von der politischen Korrektheit eingeengt wird) hat eine unglaublich mühevolle Aufgabe und muss ein hohes Maß an Frustration erdulden beim Versuch, die Taten irrationaler Personen und Gesellschaften zu verstehen. Er wird nie in der Lage sein, die Irrationalität einiger Leute zu verstehen, da diese so ausgeprägt ist, dass sie nicht in der Lage sind, zwei einfache Punkte mitenander zu verbinden.
Es fällt mir schwer darüber zu urteilen, ob Pakistan im Vergleich dazu besser da steht oder nicht, allerdings erhielt ich eine Menge Beschwerden auf einen früheren Artikel dieser Serie, der größtenteils vom Tribalismus handelte und in dem ich annahm, Pakistan stünde ein bisschen schlechter da als Indien. Es ist daher an der Zeit, die Sache etwas genauer anzusehen.
In einem Bericht über das Maß an Glücksempfinden in der Welt liegt Indien auf dem 122. Rang. Pakistan liegt etwas besser auf Rang 80. Pakistans pro Kopf BIP liegt bei 1.550 Dollar, jenes von Indien liegt bei 1.719 Dollar. Eine recht kleine Differenz. Dazu kommt, dass Pakistan ein Vermögen für die Aufnahme von Flüchtlingen ausgeben musste, sowie zur Abwehr von aus Afghanistan herüberdrängenden Problemen, und sie haben mit Indien auch einen bei weitem größeren Erzfeind. Pakistan leidet stark an der Instabilität, die aus Afghanistan und dem Iran herüberdrängt.
Im Ergebnis muss Pakistan bei weitem mehr der Staatsausgaben für das Militär aufwenden, als Indien. Wären die externen Bedingungen der beiden Ländern vergleichbar, dann wäre Pakistan vermutlich wohlhabender als Indien.
Ich erhielt auch einige Nachrichten mit Introspektiven aus Pakistan, in denen mir versichert wurde, dass Pakistan ins Chaos abgleiten würde, wobei vergleichbare Ansichten auch aus Indien kamen. Die meisten Pakistaner baten mich, ihre Namen geheim zu halten, da Kritik an der pakistanischen Armee oder dem Islam dort leicht zur unwillkommenen Konsequenz der Enthauptung führen kann. Eine kleine Minderheit der Inder ist weniger besorgt über ihre offenen Worte, allerdings ändert sich auch dies rapide.
Ein dümmliches, gut durchorchestriertes Schauspiel, das täglich an der indisch-pakistanischen Grenze vorgeführt wird. Ironischerweise üben die Soldaten der beiden Länder das ganze in enger Kooperation miteinander, damit alles schön synchron abläuft. Die ganze Angeberei und Tapferkeit sind nur ein gespieltes Theater.
Der Demonetarisierungsschmerz hält unvermindert an
Als Narendra Modi am 8. November 2016 ankündigte, dass er 86% aller sich im Umlauf befindlichen Geldscheine entwerten will, gab er drei Gründe an für die Massnahme: Das Unterbinden von Korruption, das Unterbinden von Terrorismus und das Verhindern von Blüten. Ironischerweise ist die Lage nun in allen drei Bereichen schlechter als zuvor und sie ist sogar noch schlimmer, als in den Prognosen, wie ich sie in einer Reihe von Aufsätzen beschrieben habe.
Viele Geldautomaten in Indien geben kein Geld mehr heraus. Die Wirtschaft liegt in Scherben. Das musste so passieren, da jede neue Währung sich erst einmal schnell in Richtung der Geld hortenden finanziell Mächtigen bewegt. Kleinunternehmer sind vom Mangel an Kapitalzugang völlig gelähmt - und viele schliessen ihre Geschäfte für immer. Die Menschen weichen den wichtigen Investitionen noch immer aus. Selbst die Nahrungsmittelnachfrage ist noch immer am Boden. Arme Menschen müssen zur Zeit wahrscheinlich noch immer hungrig ins Bett gehen.
Niemand weis, ob es in manchen Teilen Indiens vielleicht sogar Hungersnöte gibt, da die Mainstream Medien das Thema ignorieren. Wie in Nordkorea oder im China unter Mao sind die Inder, darunter viele der sogenannten gebildeten Schichten, heute schlichtweg nicht in der Lage all jenes zu sehen, was Modi oder ihre nationalistische Gesinnung ihnen verbietet zu sehen.
Indische Banken und andere Finanzinstitutionen agieren höchst unethisch. Seit der Privatisierung in den 1990ern haben sie angefangen, Gebühren für Konten zu verlangen, was nie Teil der Abmachung war. Da Inder nie kämpfen, geht die Sache einfach so weiter. Nach der Demonetarisierung traten diese mysteriösen Gebühren sogar noch öfters auf als zuvor.
Dazu leisten sie gewisse Dienste und führen Steuern auf Finanzmittel ab; wobei die meisten Menschen nicht einmal versuchen, sie zu verstehen. Die Inder haben das Bankenwesen satt - nicht aus moralischen Gründen, sondern aus finanziellen. Die Internetseiten der Banken sind unhandlich. Sie erfordern eine Reihe von Passwörtern und Einmalkodes, für die es ein automatisches Ablaufdatum gibt.
Wer bei Onlinezahlungen diese Sequenz der Passwörter richtig hinbekommt, ohne dass die Seite während der Prozedur einfriert, der hat am Ende das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Die meisten Menschen gehen lieber persönlich zur Bank und bitten die Bankangestellten, diese Art von Internettransaktion durchzuführen. Indien ist schlichtweg nicht bereit für das digitale Zeitalter. Das ganze Experiment mit der bargeldlosen Wirtschaft wird am Ende in einem völligen Chaos enden.
Wie auch andere Tyrannen meint auch Modi, dass die Eintreibung der Steuern eine Kernaufgabe des Staates und der Gesellschaft ist. Er stellt sich eine Gesellschaft vor, die fröhlich um den Staatsapparat herumtanzt. Das Problem dabei ist, dass man das Steuersystem zwar perfektionieren und die Korruption minimieren kann, allerdings leistet Indien mit einem pro Kopf BIP von 1.718 Dollar einfach nicht genügend Produktivität, um so ein System mit Leben füllen zu können.
Bankgebühren, habgierige Finanzämter und der massive Zeitverlust beim Kompensieren des Bargeldmangels machen überdies das wenige an Produkktivität in der indischen Wirtschaft völlig zunichte. Und mit der erzwungenen Digitalisierung hat es Modi nicht einmal geschafft, die Liquidität aus dem informellen in den formellen Sektor zu verschieben.
Auch in der westlichen Welt sind die meisten Großkonzerne im Bett mit den Regierungen. In Indien ist das Teilen der Bettdecke mit dem Staat so gut wie das einzige, was sie überhaupt machen. Aktuell profitieren diese Unternehmen massiv von der Verschiebung der Ressourcen in das digitale Bankensystem.
Ohne das Rückgrad der indischen Wirtschaft, dem informellen Sektor, kann der formelle Sektor aber nicht allzu lange überstehen. Irgendwann wird der informelle Sektor am Boden liegen und dann wird alles ins schwimmen geraten.
Das Wachstum der Kreditvergabe in Indien sinkt auf ein 60-Jahres-Tief. |
Auch die Korruption ist heute größer, da die meisten Menschen sich darüber beschweren, dass sie heute fast doppelt so viel an Bestechung zahlen müssen als früher, da Bürokraten und Politiker ihre Verluste wieder wett machen wollen, die sie wegen der Demonetarisierung erlitten haben. Und auch die Geldfälscherei ist heute ein noch größeres Problem als zuvor.
Kaschmir - Der Ort, an dem Indiens Desintegration beginnen wird
Der zuletzt genannte Grund für Modis Demonetarisierungsdektret bestand im Beenden von Terrorismus und der Lösung der Probleme in Kaschmir. Die Situation in Kaschmir hat sich stark verschlechtert, während sich der Zustand von Recht und Ordnung im Land allgemein ebenfalls verschlechtert hat, da Kriminelle weitgehend freie Hand haben.
Die Heilige-Kuh-Polizei: Kuhrächer wurden zu einem weitverbreiteten Phänomen in Indiens Landschaft, wobei regelmässig Moslems und Menschen aus niederen Kasten zusammengeschlagen oder ermordet werden (einer der fünf Opfer im Video erlag später an seinen Verletzungen). Die muslimische Gemeinde ist zunehmend isoliert. In einem Land mit der zweitgrößten muslimischen Bevölkerung welteit kann so etwas nicht gut enden.
Die Fanatikergruppe Hindu Yuva Vahini, die von niemand geringerem als Yogi Adityanath, dem aktuellen Ersten Minister von Uttar Pradesh (UP) gegründet wurde, macht sich mit gezücktem Schwert das Land unsicher (der Bundesstaat UP hat fast 200 Millionen Einwohner). Wenn der Geist der Gesetzlosigkeit in einer irrationalen Gesellschaft erst einmal aus der Flasche ist, dann wird es Jahrhunderte dauern, bis er wieder eingefangen ist. Es ist nichts weniger als eine tickende Zeitbombe.
Gleich nach seiner Ernennung hob Yogi Adityanath "Anti-Romeo" Einheiten aus der Taufe, deren Aufgabe es ist, alle unverheirateten Paare zu schickanieren. Trotz der Tatsache, dass es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt, blieben die Gerichte stille Beobachter der Sache. Auf eigene Faust agierende Hindufanatiker haben Paare schon von ihrem Privatgrundstück aus zur Polizei gezerrt. Anstatt aber, dass die Polizei die Fanatiker zur Rechenschaft zog, haben sie die Paare verhört. Ich habe es schon oft gesagt, die Institutionen, die uns die Briten hinterliessen sind nur noch leere Hüllen.
In den letzten Tagen gab es in Kaschmir einen nie gesehenen Anstieg an Menschenrechtsverletzungen durch die Armee.
Ein kurzes Video mit Einsätzen der indischen Armee in Kaschmir.
Kürzlich missbrauchte die indische Armee in Kaschmir einen Mann als menschliches Schutzschild. Journalisten haben das ganze nicht nur gefeiert und dem ganzen ihre Zustimmung gegeben, vielmehr hat der Generalstaatsanwalt, einem der wichtigsten Verteidiger des Rechts, das ganze mit den Worten gerechtfertigt: "Besondere Situationen erfordern besondere Massnahmen."
Es gibt keinen politischen Mechanismus, über den eine Sezession von Kaschmir möglich wäre. Eine Abspaltung durch Gewalt wiederum - und es sieht angesichts von Modis Plumpheit zunehmend danach aus - würde extrem chaotisch ablaufen. Das Echo wäre in der ganzen Welt zu hören und könnte zum Beginn der Fragmentierung von Indien als ganzem führen.
Jayant Bhandari wuchs in Indien auf. Er berät institutionelle Investoren im Bergbausektor. Er schreibt in mehreren Magazinen zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Thmen. Er ist Redakteur des Liberty Magazins. Er veranstaltet alljährlich ein Seminar in Vancouver mit dem Titel Kapitalismus & Moral.
Im Original: India – Is Kashmir Gone?