Präsident Recep Tayyip Erdogans Bemerkung, dass der Vertrag von Lausanne, mit dem größtenteils die heutigen Grenzen der Türkei festgelegt wurden und der gegenüber dem vorher geplanten Rumpfstaat aus dem Vertrag von Sevres bevorzugt wurde, "täuschenderweise als Sieg dargestellt wird" hat bei der Republikanischen Volkspartei (CHP) heftige Reaktionen hervorgerufen.
Mit Blick auf die historische Bedeutung des Vetrages sagte die CHP Vertreterin in Ankara Gülsün Bilgehan, mit Lausanne sei die türkische Republik entstanden. Bildgehan schrieb in einer schriftlichen Stellungnahme:
"Erdogan kann jedes Mal von der Bedeutung von Lausanne lernen, wenn er sich mit dem Kabinett trifft, dem er vorsteht. Mit Lausanne entstand die türkische Republik und dies war für die Unterzeichner ein ehrenhafter Akt, was auch Herr Erdogan sagte. In seiner heutigen Rede meinte er 'Sie können uns nicht einen Schritt zurück drängen, selbst wenn es die ganze Welt versucht.' Ich lade ihn herzlich dazu ein, die wahre Geschichte basierend auf den Dokumenten zu Lausanne und über Ismet Pascha [Inonu] zu lesen, um zu lernen wie es ablief."
Bilgehan ist die Enkelin des zweiten türkischen Präsidenten Ismet Inonu, dem Verhandlungsleiter der türkischen Delegation in Lausanne.
Auch der CHP Vertreter von Istanbul Gürsel Tekin verurteilte die Bemekungen des Präsidenten zu Lausanne und bezeichnete es als "große Schande." Tekin sagte:
"Ich war von dem vom Präsidenten gesagten bestürzt. Es ist extrem bestürzend, dass er einen so bedeutenden Prozess wie Lausanne einer war geringschätzt. Tatsache ist, es ist eine Schande, so einen bedeutenden Sieg zur Disposition zu stellen und ich lehne es strikt ab. Ich erachte dies als sehr unangemessen."
Währenddessen stellte Mahmut Tanal, ebenfalls von der CHP in Istanbul, fest, dass die Infragestellung des Vertrages von Lausanne eim "ja" gleichkommt zu Kapitulationen und Kolonialismus und er fügte an, dass die Türkei ohne den Vertrag wie Syrien, Afghanistan oder Pakistan hätte enden können.
Bei seiner Rede am 29. September beim 27. Treffen der Ortsvorsteher in Ankara sagte Erdogan, dass einige versuchen würden, den Vertrag von Lausanne als Sieg darzustellen. Er sagte:
"Der 15. Juli [der Putschversuch] war der zweite Krieg um die Unabhängigkeit der türkischen Nation. Lassen Sie uns das so sehen. Sie [bedrohten] uns 1920 mit Sevres und überzeugten uns dann 1923 Lausanne [zu akzeptieren]. Einige versuchten uns zu täuschen und präsentierten Lausanne als einen Sieg. In Lausanne aber gaben wir die [heute griechischen] Inseln her, die so nahe liegen, dass man rüberrufen kann.
Wir fragen uns noch immer wo die Grenze des Kontinents liegen könnte und was in der Luft und zu Lande sein wird. Der Grund dafür liegt bei jenen, die am Tisch saßen, als der Vertrag ausgehandelt wurde. Jene die dort saßen haben [uns] keine Gerechtigkeit gebracht und heute ernten wir die Probleme von damals. Wäre dieser Putsch erfolgreich verlaufen, dann hätten sie uns einen Vertrag gegeben, der uns langfristig auf den Pfad von Sevres gebracht hätte."
Im Juli zum 93. Unterzeichnungsjubiläum sagte Erdogan in einer Botschaft allerdings, der Vertrag von Lausanne sei die Gründungstat der Republik gewesen. Er meinte:
"Der Sieg, den unsere großartige Nation mit Glauben, Mut und Opfern errungen hat wurde anerkannt, da dies zur Grundlage der Diplomatie und des internationalen Rechts wurde, auf dem der Vertrag von Lausanne beruht. Dieser Vertrag ist der Gründungsakt unseres neu formierten Staates."
Der am 24. Juli 1923 unterzeichete Vertrag von Lausanne, der von Inonu unterzeichnet wurde, welcher später Mustafa Kemal Atatürk als Präsident folgte wird als der letzte, den ersten Weltkrieg beendende Vertrag gesehen, und der nach dem Unabhänigkeitskrieg gegen die Besatzungsmächte Großbritannien, Frankreich, Italien und Griechenland die Gründung der modernen türkischen Republik besiegelte. Der Vertrag anerkennt die Grenzen der Türkei, wie auch die Modalitäten, unter denen religiöse Minderheiten in der Türkei leben.
Im Original: Erdoğan’s remarks on treaty that formed modern Turkey irk opposition