Mittwoch, 24. Mai 2017

Da es kaum noch Kriminalität gibt ist Japans Polizei verzweifelt auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern


Drei gelangweilte Japaner. Lösung: Grenze auf?

Im Jahr 2015 gab es im ganzen Land gerade einmal eine Schiesserei. Für www.Economist.com, 18. Mai 2017

Die Beschattung dauerte eine ganze Woche, aber am Ende zahlte sie sich aus. Die stehts präsente Polizei von Kagoshima, einem schläfrigen Städtchen im Süden des Landes beobachtete Tag und Nacht ein unabgeschlossenes Auto. Geparkt war es außerhalb eines Supermarktes und im Auto stand ein Kasten Malzbier. Schliesslich bediente sich dann ein mittelalter Mann daran. Sofort griffen fünf Polizisten zu, um einen der letzten Gesetzesbrecher der Stadt dingfest zu machen.

Japans unordentliche Strassen sind nicht immer hübsch anzusehen, aber sie sind bemerkenswert sicher. Die Kriminalitätsrate sinkt nun seit 13 Jahren konstant. Die Mordrate von 0,3 Morden auf 100.000 Einwohner gehört zu den niedrigsten auf der Welt; in Amerika liegt der Wert bei fast 4. Im Jahr 2015 wurde gerade einmal eine Schiesserei gemeldet. Selbst die Yakuzagangster, einst eine potente kriminelle Kraft, setzten härtere Gesetze und das hohe Alter zu.

Und doch wächst die Polizei zahlenmässig: Streifenbeamte, allseitsbekannt als Omawari-san (Herr Läuft-herum), sind in den meisten Vierteln eine feste Größe. Japan verfügt über 259.000 unifomierte Beamte - 15.000 mehr, als vor einem Jahrzehnt, as die Kriminalitätsrate viel höher lag. Die Relation Polizist pro Einwohner ist sehr hoch, was vor allem für Tokio gilt, der Heimat der weltweit größten Polizei - sie ist ein Viertel größer als jene von New York.

Das bedeutet, dass sie viel Zeit haben für Vergehen, die anderswo als zu gering für eine Ermittlung erachtet würden, etwa Fahrraddiebstahl oder der Besitz einer geringen Menge Drogen. Eine Frau beschreibt, wie sich gleich fünf Beamte in ihre kleine Wohnung drängten, nachdem sie eine Anzeige erstattete, weil jemand ihr Kleidung von der Wäscheleine klaute. Im letzten Jahr wurde auch eine kleine Armee an Ermittlern für eine Gruppe von 22 Personen abgestellt, die für den Eigengebrauch Marihuana anbauten und es nur an abgelegenen ländlichen Orten rauchten.

Tatsächlich geht der Polizei die Arbeit aus, weshalb sie immer erfinderischer werden, wenn es um die Definition dessen geht, was ein Verbrechen ist, meint Kanako Takayama von der Universität von Kyoto. In einem aktuellen Fall, so sagt sie, verhafteten sie eine Personengruppe, die sich ein Mietauto teilten, was sie als illegales Taxigeschäft einstuften. Einige Präfekturen haben damit begonnen Personen zu belangen, die mit ihrem Fahrrad über rote Ampeln fahren.

2015 wurde ein Mann verhaftet, weil er Wahlplakate von Ministerpräsident Shinzo Abe mit Hitlerbärtchen verzierte. Frau Takayama sagt, die Ermittler haben auch damit begonnen, ohne Erlaubnis auf das Universitätsgelände zu kommen, um "störende" Studenten zu überwachen. Ein Grund, warum die Polizei nun sogar schon Fahrrad belangt dürfte ihre Ursache im steten Rückgang der Vergehen liegen. (Sowohl Auto- als auch Fahrradfahrer können eine Strafe vermeiden, indem sie sich freiwillig für einen Fahrschulkurs melden, wo oftmals pensionierte Polizisten arbeite, wie Colin Jones von der Doshisha Universität meint.) Vor fünfzehn Jahren konspirierte die Polizei von Hokkaido, Japans spärlich besiedeltem Norden, mit den Yakuza, um Waffen ins Land zu schmuggeln, damit sie ihre Quoten erfüllen können für das Konfiszieren von Waffen.

Manchmal zahlt die Jagd nach Arbeit auch aus. Die Zahl der berichteten Fälle an Kindesmissbrauch hat sich seit 2010 fast verdoppelt und das trotz der abnehmenden Geburtenrate. Das lässt vermuten, dass die Polizei immer mehr in häusliche Angelegenheiten eingreift, was früher vermieden wurde.

Selbst Kritiker von Japans Justizsystem geben zu, dass sie vieles richtig machen. Die Rückfallquote im Land ist niedrig und es wird viel dafür getan, junge Straftäter vom Gefängnis fernzuhalten; die Polizei arbeitet mit Eltern, um junge Menschen auf dem rechten Weg zu halten. Erwachsene sitzen weit seltener im Gefängnis, als in den meisten wohlhabenden Ländern: 45 auf 100.000 Einwohner verglichen mit 146 in Großbritannien und 666 in den USA.

Und doch ist die Polizei seltsam ineffizient. Obwohl es so viele Polizisten und so wenige Verbrechen gibt, so können sie nur weniger als 30% von ihnen lösen. Gestängnisse werden oftmals unter Nötigung abgezwungen und bilden die Grundlage der meisten Strafprozesse. Die Gerichte lehnten deswegen einmal trotz all der eingeflossenen Arbeit den Fall eines Bierdiebes aus Kagoshima ab. Japan, so Yoshihiro Yasuda, sei nicht wegen der Polizei verbrechensfrei, sondern weil die Menschen sich selbst kontrollieren.







Im Original: As crime dries up, Japan’s police hunt for things to do