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Samstag, 20. Mai 2017

Auf der Wahrheitssuche: Besuch im britischen Kommandozentrum für die Suche nach Falschnachrichten


In einem Büro in London suchen teilweise von Google und Faceook finanzierte Faktenprüfer fleissig den endlosen Strom an Falschnachrichten zu stämmen. Von Robert Booth für www.Guardian.co.uk, 19. Mai 2017

Nur wenige hundert Meter vom Buckingham Palast warten die Sturmtruppen im Krieg gegen die Falschnachrichten in voller Alarmbereitschaft in ihren vollbesetzten Büros.

Unter den 25 teilweise von Google und Facebook zum Schutz der britischen Unterhauswahl finanzierten Mitarbeitern, deren Aufgabe es ist, Falschnachrichten herauszufiltern, gibt es professionelle Faktenprüfer, Volkswirte und Statistiker, die von Full Fact und First Draft eingestellt wurden, zwei Organisationen zur Faktenprüfung, wobei letztere bereits über reichlich Erfahrung von den Wahlen in den USA und Frankreich verfügt.

An einem Abend dieser Woche durchstöberten sie auf der Suche nach falschen Berichten und irreführenden Behauptungen zur Wahl, die sich in den Sozialen Medien verbreiten, wie immer das Internet. Ein Artikel der bei Facebook tausende Male geteilt wurde und bei dem es um Jeremy Corbyn ging liess dann die Alarmglocken läuten. Auf der scheinbaren Nachrichtenseite YourBrexit.co.uk gab es die Schlagzeile: "Corbyn bestätigt, dass eine Labour Regierung die 92 Milliarden Pfund für den Brexit voll bezahlen würde."

Die Software der Faktenprüfer prognostizierte, dass sich die Geschichte in den kommenden Stunden stark verbreiten würde. 12.000 Mal soll sie geteilt werden und sie bei Facebook wurde sie bereits 4.000 Mal geteilt. Nur die beliebtesten Artikel verbreiten sich so stark.

Die Geschichte aber wirkte falsch. Corbyn hat das so nicht gesagt.

Dazu kam noch etwas anderes. Eine andere Software zeigte an, dass YourBrexit.co.uk dem selben Google Werbekonto gehört, wie eine Satireseite nahmens Southend News Network, die falsche Geschichten wie etwa "Uferpromenade gesperrt, nachdem somalische Piraten den Southend Pier übernommen haben" bringt.

Auch der Name des Autors wirkte etwas komisch. Ein Walter White soll es gewesen sein, mit dem selben Namen, wie der Crystal Meth kochende Antiheld der US TV Serie Breaking Bad. Und es gab es noch eine weitere Seite, auf die verlinkt wurde - ein Comedyblog namens Angry People in Local Newspapers [verärgerte Menschen in Lokalzeitungen, d.Ü.], deren aktuelle Nachrichten Artikel [auf den ersten Blick als Nonsens erkennbar sind]. Die Alarmglocken läuteten da in voller Lautstärke.

Der nächste Schritt bestand darin, die Faktenprüfer ins Spiel zu bringen, Gehilfen aus der Unterhausbibliothek und dem Statistikamt der Regierung, Rechtsexperten, Rechercheure und Strafrechts- und Innenexperten.

Was die Corbyn Geschichte betrifft, so wurde der Labour Parteichef am Montag tatsächlich gefragt, ob er eine Austrittsgebühr aus der Europäischen Union zahlen würde, bevor die Handelsgespräche beginnen. Was er dann laut Press Association sagte war:

"Klar ist, dass wo es rechtliche Verpflichtungen gibt hinsichtlich langfristiger Projekte, die dieses und andere Länder betreffen, da müssen wir uns beugen und diesen gerecht werden."

Der Evening Standard brachte dazu die folgende Schlagzeile: "Labour Chef Jeremy Corbyn deutet an, er würde als Ministerpräsident die 85 Milliarden Pfund für den Brexit zahlen," allerdings ging YourBrexit weiter als das. Es war falsch und das nicht zuletzt, weil sich die Kostenschätzungen des Brexit stark unterscheiden [hö??, d.Ü.].

Full Fact und sein Direktor Will Moy alarmierten die Nachrichtenabteilung, wonach die Geschichte bei YourBrexit "missinterpretierte", was der Labour Chef gesagt hatte.

Nur, wer steckte hinter der falschen Behauptung? Im Impressum heisst es, dass die Seite kürzlich aufgesetzt wurde, um Nutzer über Entwicklungen hinsichtlich des Brexit zu informieren, allerdings ist in etwa jede zehnte der täglich publizierten Geschichten gegen Unterstützer eines Verbleibs gerichtet, oder dient der Unterstützer des Austritts [wie frevelig, d.Ü.].

Betrieben wird die Seite vom Southend News Network (SNN), dessen Werbekonto damit verbunden ist. Die Seite driftet immer wieder zu den Falschnachrichten ab. Im letzten Jahr berichtete sie, dass die M25 eine Woche geschlossen würde, um sie für ein Ausdauerrennen zu verwenden, eine Geschichte, die im guten Glauben vom LBC Radio übernommen und berichtet wurde.

SNN gehört Simon Harris, einem Lehrer aus Essex, der bislang versuchte anonym zu bleiben. Er bestätigte gegenüber dem Guardian, dass die Domain YourBrexit ihm gehört, meinte aber, dass Walter White das Pseudonym eines 19 Jahre alten anonymen Studenten sei, der "die linken Eliten satt hat". Harris sagte:

"Mir fehlt die Zeit, all das Zeugs das er schreibt zu prüfen, weshalb hin und wieder Fehler passieren."

Dr Student, der mit dem Guardian unter Zusicherung der Anonymität sprach, veröffentlicht bei YourBrexit von seinem Zimmer aus, während er gleichzeitig für seine Examen lernt, allerdings hält das die Seite nicht davon ab, viele Zugriffe zu bekommen.

Er behauptet, dass im Monat eine Million Nutzer bei YourBrexit vorbeikommen und er über Facebook 3 Millionen erreicht. Das ganze bringt ihm im Monat mehrere hundert Pfund an Werbeeinnahmen ein, auch wenn er meint, dass er es kostenlos macht. Er sagte:

"Ich habe einfach nur diese permanenten Anti-Brexit Geschichten satt und entschloss mich, etwas dagegen zu tun."

Er verteidigte auch die Corbyn Geschichte, indem er sagte:

"Ich glaube nicht, dass wir da in den Bereich der Falschnachrichten geraten sind.

Ich würde nie etwas publizieren, das absichtlich flasch ist, nur um damit die Sache des Brexit zu fördern. Es wäre amoralisch."

Das Geplänkel über Corbyns Zitat ist Teil eines viel größeren Krieges gegen Falschnachrichten, der schneller ausgefochten wird, denn je, da es alleine in Großbritannien 32 Millionen Konten bei Facebook gibt. Claire Wardle, die Direktorin von First Draft sagte:

"Die tägliche Herausforderung für uns ist, dass es einen Haufen Blödsinn da draußen gibt, wenn wir aber Geschichten nicht wiederlegen, die sich verbreiten, dann geben wir den damit verbreiteten Gerüchten nur Sauerstoff.

Wir befinden uns in einem Informationskrieg."

Als einer der Gründe, warum Falschnachrichten in der britischen Unterhauswahl noch kein großes Thema wurden, wird angeführt, dass die Umfragen bei weitem nicht so eng sind, wie zwischen Clinton und Trump.

Die Sturmtruppen im Londoner Büro aber sind auf der Wacht. An der Wand hängt eine schwindelerregende "Themenkarte", auf denen jene Gebiet verzeichnet sind, von denen erwartet wird, dass sie relevant werden. Bei der Ausrufung der Wahl wurde diese hastig zusammengestellt und ein 3 Jahresplan für die Wahlen im Jahr 2020 zusammengestaucht, wobei sich Full Fact hohe Ziele gesetzt hat. Die wichtigsten Themen umfassen "Lebensstandard", "Zustand der Wirtschaft", "Brexit" und "Schottland". Darum herum sind die Unterthemen gruppiert. "Kipppunkt" ist zum NHS gruppiert, "Haben die Brexitbefürworter 350 Millionen Pfund versprochen" steht bei Brexit und "Gymnasien" gehört zu öffentlichen Leistungen. Mit nichts verbunden ist der Themenbereich "gebrochene Versprechen". Moy sagte:

"Es erfordert ein außergewöhnliches Maß an Konzentration.

Es ist nicht unsere Aufgabe, mit einer groben Bürste über die Geschichten zu gehen; es geht viel mehr darum, die Details richtig hinzubekommen."

Jede Tatsache wird von zwei unterschiedlichen Personen überprüft, bevor Full Fact sein Urteil öffentlich macht. Als Full Fact im Jahr 2010 begann, so Moy, konnte man sehr leicht die Anzahl der Medienanbieter auflisten, die über 100.000 Besucher haben.

"Heute aber kann es Personengruppe der Größe einer ganzen Stadt geben, die sich das eine anschaut und das alles passiert nicht mehr in der Geschwindigkeit, die wir gewohnt waren. Ein Eintrag bei Facebook kann ein Publikum erreichen, das so groß ist, wie jenes eines politisches Magazins oder einer politischen Fernsehsendung."

Momentan meldet Full Fact die Falschnachrichten an die Nachrichtenräume der Mainstream Medien, gibt es aber vielleicht einen Weg, wie das Problem an der Wurzel angepackt werden kann?

"Sollte eine wirklich große Verschwörungstheorie in einer alternativ rechten Gruppe zirkulieren, werden wir dann eine Wahrheitsbombe platzen lassen, weil das etwas ändern würde? Vermutlich nicht. Wir müssen eher in die Richtung denken, dass Teile der Gruppe sich eher von Faktenprüfern überzeugen lassen."

Es sieht nach drei sehr geschäftigen Wochen aus.






Im Original: Truth seekers: inside the UK election's fake news war room
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