Mittwoch, 25. Januar 2017

Wer ist eigentlich "das Volk" in diesen neuen politischen Zeiten?


Von Brendan O'Neill für www.Spectator.co.uk, 24. Januar 2017

Während des großen und beeindruckenden Frauenmarsches in London am letzten Samstag, bei dem tausende lärmende Frauen, Männer und Kinder Trump die Zunge rausgestreckt haben schrieben die Veranstalter folgendes bei Twitter: "Wir sind das Volk."

Moment mal, ist es etwa wieder akzeptabel, "das Volk" zu sagen?

Seit Trumps Sieg im November und noch mehr nach der Brexit Revolte im Juni riskierte jeder, der die Phrase "das Volk" verwendete, als nützlicher Idiot für die rechtskonservativen Demagogie bezeichnet zu werden. "Weist du eigentlich, wer sonst noch so von 'dem Volk' gesprochen hat?" warfen einem vorwurfsvolle Linksliberale entgegen. "DIE NAZIS!" Brexitbefürworter wie Trumpfans "tönen, dass sie 'das Volk' repräsentieren würden," so Andrew Rawnsley im Observer und sie würden "versuchen, jeglichen Dissens zu unterdrücken". "Das Volk", darauf bestanden die Akademiker, sei eine Phantasiekategorie.

Und doch scheint es jetzt wieder cool zu sein, vom Volk zu reden. "Wir sind das Volk, hört auf unsere Stimme," hiess es vom Londoner Flügel des Frauenmarsches. Das heisst also, die 17,4 Millionen Brexitwähler sind nicht das Volk, aber die 80.000 Marschierer gegen Trump sind es? Die 62 Millionen, die Trump ihre Stimme gaben, darunter eine große Anzahl Frauen, sind nicht das Volk, allerdings sind es all die Trumphasser auf dem Trafalgar Square?

Der Zusammenprall sich so stark unterscheidender Ansichten über "das Volk" wirft eine interessante Frage über diese Post-2016 Ära auf: Wer sind eigentlich die Rebellen? Das Volk, das für den Brexit stimmte, oder das Volk, das dagegen war und das von Tony Blair vor kurzem als Aufständler bezeichnet wurde? Das Volk, das für Trump stimmte - dessen Hauptziel darin bestand, "die Dinge aufzuwühlen", wie eine neue Studie ergab - oder das Volk, das sich gegen Trump stellte und sich selbst beschreibt als "der Widerstand"? Jeder will "das Volk" sein gegen "die Macht" - wer aber hat das größere Anrecht auf diesen Titel?

Mein Geld habe ich auf erstere gesetzt. Es sind die Massen, die für den Brexit stimmten und Hillary ablehnten, da sie eine Art des Widerstandes repräsentierten, während die Reaktion auf diese Stimmen teilsweise aus schrillen Abqualifizierungen wie "schlecht informierte Wähler" bestand, die alles nur kaputt machen, woraus der sehr konservative Drang herauszulesen ist, die bestehende Ordnung erhalten zu wollen.

Aber bitte nicht falsch verstehen. Mich stört der Frauenmarsch nicht. Es war toll, so viele Menschen auf den Strassen zu sehen. Aber ich denke einfach, die wie aus den Sechzigern kommenden Sprüche und die verwendeten Worte - Widerstand, Rebellion - verdecken die Tatsache, dass sie sich eigentlich gegen Veränderungen wehren und sehr gerne hätten, dass es mit der alten Politik genau so weiter geht wie bisher. Ich meine, Hillary, die wohl allerelitärste Person auf dem Planeten, hat bei Twitter unablässig den Marsch kommentiert. Das ist kein gutes Zeichen, Leute. Es zeigt zumindest, euer Gerede von wegen Rebellion ist völlig übertrieben.

Die Ereignisse der letzten Zeit haben die politische Sprache völlig durcheinandergebracht. Alte politische Begriffe haben scheinbar all ihre Wirkung verloren. Das Volk, das gegen die EU stimmte wird beschrieben als "autoritäre Populisten", während jene, die sie für sie stimmte "Liberale" genannt werden. Das ergibt keinen Sinn: Ist es wirklich autoritär, ein riesiges, byzantinisches Bürokratiesystem abzulehnen und liberal, wer dafür ist?

Den Frauen beim Frauenmarsch wurde gratuliert, weil sie "ihren Stimmen Geltung verschafft haben", was sicherlich auch so war. Doch diese Terminologie wurde nie für jene Millionen Frauen verwendet, die für Trump stimmten. Tatsächlich schrieben einige Feministen sogar, dass diese Frauen an einem "internalisierten Frauenhass" leiden. In dieser wirren neuen politischen Sprache steht der Begriff "Frauenstimme" für "Stimmen bestimmter Frauen". Post-2016 wurde das Wort "Frauen" eher exklusiv als inklusiv: Es steht nunmehr für "Frauen mit respektablen Ansichten". Alle anderen Frauen werden negiert.

Ich denke, die gegen den Brexit agitierenden und wegen Trump in Panik ausbrechenden Linken sollten ehrlich zu sich selbst sein. Sie wollen den Status Quo vor der tobenden Wut der Öffentlichkeit verteidigen. Sie wollen die EU, die Hinterzimmerpolitik, Weitermachen wie bisher und sie hätten lieber, dass Hillary, als die Personifizierung des Establishments, auf dem Thron der Welt sitzt.

Hier ist ein wichtiges politisches Wort: Dissens. Es beduetet "nicht zustimmen.. anders denken". Wer passt besser dazu: Jene, welche die Warnungen der etablierten Politik, der globalen Institutionen und so gut wie jeder Berühmtheit auf dem Planeten ignorierten, um "nein" zur EU und "Ja" zu Trump zu sagen, oder jene, die in den letzten Monaten für den Erhalt der EU plädiert haben und Hilllarys Niederlage beweinten? Ich denke, die Antwort ist klar.

So bizarr ist die politische Sprache Post-2016: Jene Millionen, die die Eurokratie und das System Washington ablehnten werden als konservativ und ängstlich hingestellt, während jene, die vor Gericht ziehen, auf die Strasse gehen, die Medien fluten und sagen "Rettet die EU" und "Wir wollen Hillary" sich selbst beweihräuchern mit der Sprache des Aufstandes und der Revolte. Wir täten gut daran, wenn wir die Sprache wieder mit der Realität in Einklang brächten. Die unangenehme Wahrheit ist nämlich: Jene Frauen, die für Trump stimmten verdienen den Titel der Widerständler weitaus mehr als die Frauen, die am Samstag gegen ihn auf die Strasse gingen.






Im Original: Who are ‘the people’ in these new political times?