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Donnerstag, 10. November 2016

Ist Donald Trumps Sieg ein Vorzeichen für den Sieg von Marine Le Pen?




Es bleibt weiter unwahrscheinlich. Aber es wäre unklug ihn auszuschliessen. Für www.Economist.com, 9. November 2016

Was könnte in Europa der nächste Dominostein sein, den Donald Trumps Sieg umstossen wird? Die nächste große Demokratie, die nach Amerika zur Wahl geht ist Fankreich, wo im nächsten Frühjahr die Präsidentschaftswahl abgehalten wird. Könnte dort Marine Le Pen, die Anführerin des populistischen Front National (FN), zur Präsidentin gewählt werden?

Vor dem amerikanischen Ergenis schien die Frage absurd. Die Umfragen lassen seit Monaten vermuten, dass sie gut genug abschneiden würde, um im April zur Stichwahl in die zweite Runde zu kommen. Das alleine wäre eine Art Sieg, und sie würde damit die Leistung ihres Vaters Jean-Marie Le Pen von 2002 wiederholen. Aber keine Umfrage hat bislang vermuten lassen, dass sie den mitterechen Kandidaten, gegen den sie wahrscheinlich antreten wird, schlagen kann.

Nun aber wurde das Undenkbare denkbar. Die Freude darüber in der FN Parteizentrale in Paris wurde nicht versteckt. Eine jubelne Frau Le Pen, die meinte, ein Sieg von Trump wäre gut für Frankreich, gratulierte dem neuen gewählten amerikanischen Präsidenten und pries das "freie" amerikanische Volk. Sie erklärte:

"Es ist nicht das Ende der Welt, aber das Ende einer Welt."

Ihr Untergebener und Parteistratege Florian Philippot fasste die Simmung beim FN zusammen:
"Ihre Welt bricht zusammen; unsere wird gerade gebaut."

Selbst Herr Le Pen, dessen Tochter mit ihm brach, schrieb bei Twitter:
"Heute die Vereinigten Staaten, morgen Frankreich!"

Sicherlich fallen die Parallelen zwischen Frau Le Pen und Herr Trump ins Auge. Beide stützen sich auf vereinfachte Wahrheiten und bauen bei ihrer Politik auf Ablehnung und Nostalgie. Sie beide haben sich als Anti-Establishment Außenseiter neu erfunden, die für jene eintreten, die vom System vergessen wurden und die von der Elite gemieden werden. Sie sprechen mit der selben weißen Arbeiterwut, verwenden ähnliches Vokabular und wachsen jedes Mal ein kleines Stückchen mehr, wenn das Establishment gegen sie spottet. Frau Le Pen bezieht ihre eigene Stärke von den alten Industrie- und Bergbaustädten in Nordfrankreich, die einstmals kommunistisch gewählt haben und hat sich bei Wählern der Arbeiterschicht zur beliebtesten Politikern gemausert.

Auch ihre politischen Instinkte gleichen sich. Sowohl Trump als auch Le Pen sind Protektionisten und Nationalisten, sie unterstützen den Brexit und haben Sympathien zu Russland. Der FN hat Geld von einer russischen Bank geliehen, die Verbindungen zum Kreml hat und Frau Le Pen bewundert Wladimir Putin schon lange. Europafreunde in Paris sind besonders besorgt über die Aussicht einer Allianz zwischen Herrn Trump, Herrn Putin und Frau Le Pen, was die Europäische Union spalten und die alte Ordnung unterminieren würde. Nach der Brexit Entscheidung verprach die FN Chefin, in Frankreich ein "Frexit" Referendum durchzuführen.

Ein Unterschied liegt im rhetorischen Übermass. Frau Le Pen ist in dieser Hinsicht eine Art Trump light. Auch wenn sie viele seiner Reflexe beherrscht, so verpackt sie diese doch in eine vorsichtigere Sprache. Sie hat beispielsweise nie dazu aufgerufen alle Moslems aus Frankreich zu verbannen, sondern sie forderte ein Ende der "unkontrollierten Welle" an Einwanderung. Sie verspricht keine Mauern, sondern kontrollierte Grenzen. Das Problem, sagt sie, sei nicht der Islam, sondern das, was sie die "Islamisierung" Frankreichs nennt.

In Frankreich, wo Frau Le Pen versucht eine einstige Pariahbewegung mit früheren Neonazi Verbindungen in eine glaubwürdige politische und regierungsfähige Kraft umzuwandeln, sind solche Nuancen viel wert. Frau Le Pens Populismus hat weniger rauhe Kanten als der von Herr Trump, was sie an der Wahlurne aber umso mächtiger macht. Selbst in Frankreichs Zwei-Runden System, das es außenstehenden Parteien schwer macht hat ihre Partei gezeigt, dass sie au lokaler Ebene die Mehrheit der Stimmen holen kann. Der FN regiert inzwischen in einem dutzend französischer Rathäuser, die überwiegend im Norden und am Rande des Mittelmeers liegen.

Um die zweiründige Präsidentschaftswahl allerdings zu gewinnen, müsste Frau Le Pen eine gläserne Decke durchbrechen. Empririsch ist ihre Unterstützung aber begrenzt, da sie sowohl in Umfragen als auch bei Wahlen nur bei knapp über 40% liegt. Die Mehrheit der französischen Wähler auf der Linken und in der rechten Mitte fühlen sich weniger an ihre politische Zugehörigkeit gebunden, denn an ihre Allergie gegen den FN und neigen dazu, sich in der Entscheidungsrunde zusammenzutun, was auch bekannt ist als "Front Republicain". Genau das haben sie auch bei den Regionalwahlen im Dezember 2015 gemacht, als Le Pen 44% gewann, allerdings trotzdem nicht die Präsidentschaft von Nordfrankreich gewann, weil die Sozialisten eine unwahrscheinliche Entscheidung trafen und für den mitterechten Kandidaten Xavier Bertrand warben.

Alle Umfragen von heute lassen vermuten, dass Frau Le Pen im kommenden Jahr ganz ähnlich wie damals kurz vor der Ziellinie gegen den republikanischen Kandidaten verlieren wird, der noch diesen Monat bei den Parteivorwahlen ausgwählt wird. Sie würde sich gegen den frenetischen ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy vermutlich besser schlagen, wobei die Umfragen meinen, sie würde 42% der Stimmen gegen ihn gewinnen, als gegen Alain Juppe, einen professoralen ehemaligen Ministerpräsidenten, gegen den sie nur 32% gewinnen würde. Tatsächlich buhlt Herr Juppe auch spezifisch um linke Wähler, die von Francois Hollandes sozialistischer Präsidentschaft enttäuscht sind, und die er dazu auffordert, bei der republikanischen Vorwahl für ihn zu stimmen, um am Ende gegen Le Pen eine bessere Auswahl zu haben.

All das allerdings setzt voraus, dass die Umfragen über die Wahlabsichten einen halbwegs vernünftigen Richtwert abgeben. Die jüngeren britischen und amerikanischen Erfahrungen sprechen dagegen. Das Gefühl einer Gelegenheit, das der siegreiche Herr Trump Frau Le Pen mitgibt, wird ihrer Kampagne neuen Schwung geben und vielleicht ihre bislang stillen Unterstützer ermutigen. Je mehr die Medien und die politische Klasse gegen das amerikanische Ergebnis lamentieren, umso mehr wird Le Pen mit der Arroganz und den Ansprüchen der abgehobenen Pariser Elite spielen. Und egal ob Herr Juppe oder Herr Sarkozy am Ende Präsidentschaftskandidat wird, ihre establishmentfeindliche Denunziation der Kaste immergleicher politischer Akteure wird nur allzu wahr klingen. Ein Le Pen Sieg mag nach wie vor unwahrscheinlich klingen. Aber es wäre ein schwerer Fehler, diesen für unmöglich zu erklären.




Im Original: Does Donald Trump’s victory presage a win for Marine Le Pen?
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